„Für einen echten Wandel im Wissenschaftssystem statt der Weiterführung vermurkster Gesetze“ (Demo-Rede von Tatjana Boczy)

Am 23.3. fand unter dem Motto „Fair statt prekär! Universität neu denken“ eine Demonstration mit über 2000 Teilnehmer:innen in Wien statt. Die Route führte vom Hauptgebäude der Uni Wien zum Wissenschaftsministerium und dann weiter zum Karlsplatz und der TU Wien. (Ankündigung hier)

Das ist der NUWiss-Redebeitrag von Tatjana Boczy. Weitere Beiträge und Fotos findet ihr außerdem auf den Seiten von Unterbau Uni Wien und der IG:LektorInnen.

Tatjana Boczy am Mikrofon (Foto Florian Albert)
Tatjana Boczy am Mikrofon (Foto Florian Albert)

Es gibt viel zu tun als Mittelbau, als Unterbau, der die Basis der Wissenschaftsarbeit durchführt. Unsere Arbeitsbedingungen haben sich seit dem UG 2002 extrem verschlechtert. Unser Mitspracherecht wurde beschnitten, unsere Lebensrealitäten werden momentan als Einzelfälle weggeschoben. Wie können bis zu 80 % Prozent des wissenschaftlichen und künstlerischen Personals Einzelfälle sein? Immer wieder wird auf Berichte und Klagen aus unserer tagtäglichen Arbeitsrealität geantwortet, „man könne dazu keine Stellung beziehen, weil man sich das im Detail noch ansehen müsse.“

In Österreich wird außerdem die Verantwortung vom Ministerium an die Rektorate bzw. die Autonomie der Universitäten geschoben und von dort wieder zurück ans Ministerium. (Wir sehen das in bisherigen Gesprächen und Diskussionsrunden.) Den gesetzlichen Rahmen und die Leistungsvereinbarungen legen aber Politik (das Ministerium) gemeinsam mit den Universitäten fest. Es war auch eine politische Entscheidung, das allgemeingültige Arbeitnehmer:innenrecht auszuhebeln und die Aneinanderreihung befristeter Anstellungen an Universitäten zu erlauben. Der Eingriff zur Verschlechterung der Arbeitnehmer:innenrechte durch das UG 2002 war möglich – aber die Verbesserung der Arbeitsbedingungen von tausenden Wissenschafter:innen soll nun an der Autonomie der Universitäten scheitern? Die Erhöhung unbefristeter Stellen kann in den Leistungsvereinbarungen festgelegt werden. Die Kettenvertragsregelung kann gestrichen werden in einer echten Reform. Wir sind die Ausreden leid! Wir sind Leidtragende dieses Hin- und Hergeschiebes von Verantwortungen.

Die Rektorate wiederum tun, was sie vor der „Reform des Paragraf 109“ 2021 auch schon gemacht haben – Ja niemanden (unabsichtlich) entfristen, egal wie gut die Person lehrt, forscht, Drittmittel einwirbt, Wissenschaftskommunikation betreibt oder am Erhalt der universitären Gremien mitarbeitet. Berechnungen zur Kette sind undurchsichtig und beschäftigen die Personalabteilungen in viel zu hohem Ausmaß. Ressourcen werden hier verschwendet an mehreren Stellen.

"Zukunftslos. Chancenlos. Uni Wien" (Foto Florian Albert)
„Zukunftslos. Chancenlos. Uni Wien“ (Foto Florian Albert)

Wenn Entfristungen abseits von Professuren dann doch einmal passieren, hängt es vom Einsatz und Gutdünken einzelner Entscheidungsträger:innen bzw. Professor:innen ab. Bis dahin leistet der Unterbau unbezahlte Arbeit in Forschung, Lehre, Abschlussarbeitsbetreuung und in Gremien. Das ist kein System, das die Besten behält, es ist ein System das bestehende Machtstrukturen und unkritische Forschung erhält. Ein sich reproduzierendes System sozialer Ungleichheit (voll von Survivor-Bias.). Ein System das bestehende Machtgefälle und Abhängigkeiten zementiert und verschärft. An der Uni kann man charmanterweise ja bis 50 Nachwuchswissenschaftler:in bleiben, in all diesen Abhängigkeiten gefangen.

Im Verantwortungskarussell zwischen Ministerium, Rektoraten, und Politik wurden unsere Arbeitsbedingungen seit mehr als 20 Jahren prekarisiert. Die Forschungslandschaft wurde vereinheitlicht zu Buzzword-Anträgen für Drittmittel und auf Management-Standards ausgerichtet statt auf forschungsethische Grundsätze gestellt. Betroffenen wird von der Politik gesagt „Klagt’s halt beim Arbeitsgericht“. Kann das verfehlte Ziel eines Gesetzes zum Arbeitnehmer:innenschutz noch offensichtlicher sein? Uns wird erklärt, dass es früher ja so schlimm war, weil da alle verbeamtet waren und sich nichts bewegt hat. Die derzeitigen Gesetze müssen sich aber nicht mit dem Früher auseinandersetzen, sondern mit dem Heute: Die Prekarisierung ist heute so fundamental, dass an den Universitäten weder Lehre noch Forschung noch gesellschaftliches Engagement auf stabilen Beinen steht. Während die Arbeit an den Universitäten umfangreicher und komplexer wird, wird das Personal permanent ausgetauscht, um „Innovation“ zu fördern. Hohe Fluktuation ist aber ein Warnsignal in jedem anderen Betrieb, denn dadurch geht wertvolles Wissen und Kompetenz verloren. Warum erkennen das Ministerium und die Universitäten in Österreich das nicht? Für Daueraufgaben, für gute Wissenschaft, für gute Lehre braucht es Dauerstellen/unbefristete Verträge; nicht nur Professuren sind das Ziel von Wissenschaftsarbeiter:innen.

Wir möchten gerne forschen, lehren und Erkenntnisse mit der Öffentlichkeit teilen – Warum müssen wir mit einer Hochqualifizierung um unsere Existenz zittern bis zur Professur (mit 50+?)? Das Tenure-Track System bis zur Professur ist keine echte/ehrliche Lösung! Besonders dann, wenn das Ministerium für 34.000 Befristete nur ca. 100 Tenure-Track-Stellen pro Jahr besetzt. Das führt zu massiver Chancenungleichheit – besonders betroffen sind Frauen, Nicht-Binäre, Menschen mit Behinderungen, First-Generation Akademiker:innen, People of Colour, Menschen mit Migrationshintergrund und alle von mehrfacher, intersektionaler Diskriminierung Betroffene. Warum lassen staatlich finanzierte Einrichtungen diese Fehlentwicklungen systematisch zu? Eine demokratische, wirklich innovative Wissenschaftslandschaft formt sich aus der Vielfalt der Stimmen einer Gesellschaft, nicht den Privilegien einiger Weniger, die dann Forschungschwerpunkte, Methoden und Theorien aus ihrer spezifischen Lebenswelt heraus festlegen. Das ist kein System wissenschaftlicher Exzellenz – Das ist soziale Ungleichheit schaffende Intransparenz.

"Forschung und Familienleben – Warum kann’s nicht beides geben?" (Foto von Christoph Glanzl)
„Forschung und Familienleben – Warum kann’s nicht beides geben?“ (Foto von Christoph Glanzl)

NUWiss will die österreichischen Wissenschaftsarbeiter:innen vernetzen. Unsere Gründung feiern wir – mit euch zusammen – am 22.04. in der AK Wien. Solidarisch mit unseren Kolleg:innen in Deutschland, Großbritannien, Niederlanden, Frankreich, USA und Indien kämpfen wir für Wissenschaftsarbeit, die sich den aktuellen und zukünftigen Krisen mit sozialer, ökologischer und ethischer Verantwortung stellt.

An euch der Aufruf: Vernetzt euch an den jeweiligen Standorten – wir unterstützen dabei bereits in Linz, Graz, an der TU Wien, BOKU, und Uni Wien, hoffentlich bald auch in Innsbruck. Wendet euch an die IG Lektor:innen, den ULV (Verband des wissenschaftlichen und künstlerischen Personals) oder BV13 der Uni-Gewerkschaft, die bereits langjährige Vorarbeit geleistet haben. Zusammen stehen wir für einen Wechsel im Wissenschaftssystem und die Behebung der Fehlentwicklungen durch vermurkste Gesetze der Vergangenheit.

Konkret fordert NUWiss:

  1. Die ersatzlose Abschaffung des §109 und somit ein Ende der Kettenverträge! Wir fordern einfach unbefristete Verträge und das Gelten des österreichischen Arbeitnehmer:innenrechts!
  2. Damit einhergehend fordern wir, dass die Universitäten in die Pflicht genommen werden nachhaltige, unbefristete Beschäftigungsmodelle auch abseits der Professuren zu entwickeln!
  3. Es braucht außerdem transparente und demokratische Entscheidungsstrukturen. Wir fordern egalitäre Mitsprachemöglichkeiten für alle Betroffenen in der Forschung, Lehre und Administration! Das alte Kuriensystem muss grundsätzlich überdacht werden!
  4. Die Voraussetzung für sozial-nachhaltige, innovative Universitäten ist eine ausreichende Basisfinanzierung, damit die Bewältigung der Kernaufgaben in Forschung und Lehre hochwertig abgewickelt werden können. Insbesondere fordern wir also mehr Geld für Geisteswissenschaften, Grundlagenforschung und Lehre!

Was ich gerne hätte – Verträge ohne Kette!

"Wir haben nichts zu verlieren... als unsere Kettenverträge!" (Foto Unterbau Uni Wien)
„Wir haben nichts zu verlieren… als unsere Kettenverträge!“ (Foto Unterbau Uni Wien)