9 statt §109: Neun Vorschläge für eine gute Uni

Der §109 des Universitätsgesetzes ist nicht zu Unrecht besonders starker Kritik ausgesetzt (auch von NUWiss). Die Probleme des Universitätsgesetzes gehen aber weit darüber hinaus.

In regelmäßigen Treffen mit Vertreter:innen anderer Organisationen (insbesondere der IG:Lektor*innen, dem Elise Richter Netzwerk und der Österreichischen Gesellschaft für Geschlechterforschung, genauere Angaben findet ihr am Ende dieser Seite) haben wir uns zwei Jahre lang intensiv mit den größten universitätspolitischen Baustellen beschäftigt und diese vier Themenfeldern zugeordnet:

  • A: Organisationsrecht und -prinzipien
  • B. Partizipation und Öffentlichkeit
  • C: Personalpolitik
  • D: Finanzierung

In der genaueren Analyse haben haben sich neun Problemstellungen herauskristallisiert, denen wir mit neun konkreten Vorschlägen zur Veränderung des Universitätsgesetzes begegnen wollen, um so Wege aufzuzeigen, wie die Universität zu einem besseren Ort für alle werden kann. Ein überarbeitetes Universitätsgesetze könnte dann endlich die Strukturen schaffen, die es braucht, damit die Universitäten ihren gesellschaftlichen Aufgaben besser gerecht werden können.

Die ausführliche Problemanalysen und Veränderungsvorschläge findet ihr weiter unten. Zum Verteilen, Aufhängen und Weiterleiten haben wir auch eine Kurzversion der Vorschläge erstellt, die ihr auch als PDF herunterladen könnt:

Wir hoffen, dass diese Vorschläge den Anstoß für eine grundlegende Reform des Universitätsgesetzes liefern und freuen uns auf die Diskussion darüber mit Euch und allen interessierten universitätspolitischen Akteur:innen.

Problemfelder und Vorschläge im Detail

Hinweis: Ein Klick auf die Pfeile oder Überschriften klappt die Detailbeschreibung der einzelnen Punkte aus

Themenfeld A: Organisationsrecht und -prinzipien

Problemstellung A.1 – Spaltung der Belegschaft und mangelnde Identifikation mit der
eigenen Universität

Die Ausdifferenzierung bzw. Stratifizierung der Belegschaftsstruktur nach Einführung des UG 2002 und des Uni-KV 2009 hat einen sehr niedrigen Integrationsgrad sowie einen Verlust an professioneller und institutioneller Identität, Vertrauen und Transparenz zur Folge.2 Die Art und Intensität der Ausdifferenzierung und die mangelnde Identifikation der Mitarbeiter*innen mit der eigenen Universität führen zu Spaltungen der Belegschaft und stehen einer nachhaltigen Entwicklung in Lehre, Forschung und Verwaltung im Wege.

  • Forderung – Vereinheitlichung der Belegschaft als „Universitätsangestellte“ (UniA)
    • Das reformierte UG soll auf die Unterscheidung zwischen Universitätsprofessor*innen (§98 und §99), wissenschaftlich-künstlerischem Personal (§100) und allgemeinem Personal (§101) verzichten. In weiterer Folge sollen die Verwendungsgruppen A, B und C des wissenschaftlich-künstlerischen Personals (KV §48) und des allgemeinen Personals (KV §51) in einer vereinheitlichten Gruppe „Universitätsangestellte“ (UniA) zusammengefasst werden. In Folge gibt es nur noch einen Betriebsrat, der für alle UniA zuständig ist. Auch die jährlichen KV-Verhandlungen werden nur noch für die Gesamtgruppe UniA geführt. Die Gehaltseinstufungen im neuen Uni-KV sollen neu ausverhandelt und auf Basis der Funktionen bzw. des Verwendungszwecks (z.B. mit/ohne Leitungsfunktion) festgelegt werden.
    • Der Berufstitel „Professor*in“ wird nach Erreichung bestimmter wissenschaftlich-künstlerischer Qualifikationen vergeben und führt zu einem Gehaltssprung. Die hierfür nötigen Qualifizierungsvereinbarungen (QV) und/oder Habilitationsverfahren werden von einem neu organisierten und am Faculty-Modell orientierten Gremium (vgl. Problemstellung A.2) festgelegt. Analog dazu können alle UniA mit Personal- oder Programmverantwortung nach Erfüllung der QV (z.B. spezielle Management- oder Didaktikausbildung) vorzeitig in der neuen UniA-Gehaltstabelle vorrücken.
  • Vision

    So wie in modernen, leistungsorientierten Organisationsformen üblich, erfolgt die Ausdifferenzierung der Belegschaftsstruktur nach Qualifikation und Funktion (und nicht nach dem Berufstitel). Die flachen Hierarchien und transparent festgelegte Qualifizierungsstufen erhöhen den Integrationsgrad, stärken das Engagement bei der universitären Selbstorganisation und verbessern deren Leistungsfähigkeit durch Realisierung ungenutzter Potenziale der Universitätsautonomie. Die Abschaffung der „klassischen Professur“ und der egalitäre Umgang mit dem Verwaltungspersonal stärken den Zusammenhalt, die kollektive Identität und das Interesse an der gemeinsamen Umsetzung institutioneller Ziele. Die Einstufung nach Verwendungszweck ermöglicht nicht nur vertikale Karrierewege (bis zur Professur), sondern auch horizontale und zentripetale Wege der Karriereentwicklung (z.B. Department-, Programm-, Abteilungs- oder Projektleitung).

Problemstellung A.2 – Anachronistisches und innovationshemmendes Kuriensystem

Die inneruniversitäre Entscheidungsfindung erfolgt nicht demokratisch, sondern verläuft aufgrund des mehrstufigen, hierarchischen Systems der Kurien (Professor*innen, Mittelbau, administratives Personal, Studierende) „top down“. Das anachronistische Kuriensystem konserviert hierarchische Machtstrukturen und Ungleichgewichte, die wissenschaftlicher Innovation abträglich sind und eine ressourcenschonende und zweckmäßige Verteilung der vielfältigen Aufgaben auf eine Vielzahl von Mitarbeiter*innen verhindern.

  • Forderung – Abschaffung der Kurien und neues Faculty-Modell

    Das neue UG soll den grundsätzlichen Anspruch haben, eine demokratische Hochschule zu ermöglichen, die den Zielsetzungen der Universitätsautonomie – Optimierung von Qualität und Effizienz durch Selbststeuerung – gerecht wird. Der Ausbau demokratischer Entscheidungsprozesse soll nach Vorbild des Faculty-Modells zu verbesserten Kontrollmechanismen durch eine universitätsinterne Logik der „Checks and Balances“ führen. Die Gremien sollen neu zusammengesetzt werden, um die gesamte Belegschaftsstruktur angemessen zu repräsentieren. Als Grundlage hierfür soll das Kuriensystem durch einen „Lehre- und Forschungsrat“ und einen „Verwaltungsrat“ abgelöst werden, womit das bestehende Rätesystem (Universitätsrat, Wissenschaftsrat) durch die Einbindung der UniA und Studierenden erweitert wird.

  • Vision

    Demokratische Universitäten ermöglichen bei wichtigen Entscheidungsprozessen die Partizipation aller UniA – Mitentscheiden heißt auch Mitverantwortung tragen. Die Ersetzung der vertikal-hierarchischen durch eine horizontal-funktionale Differenzierung (Räte statt Kurien) stärkt die Mitspracherechte aller UniA, wodurch die Fachkompetenz und Erfahrung der gesamten Belegschaft ausgeschöpft werden können. Der „Lehre- und Forschungsrat“ ist für Verhandlungen, Entscheidungen und deren Umsetzung im Bereich Forschung und Lehre zuständig und besteht vorwiegend aus Personen mit Forschungs- und Lehrtätigkeiten und Studierenden. Der neue „Verwaltungsrat“ ist für das Organisationsmanagement zuständig und setzt sich aus UniA mit Verwaltungstätigkeiten zusammen. Mit diesen Maßnahmen entsteht ein zeitgemäßes, auf einem funktions- und leistungsorientierten Management basierendes Modell akademischer Selbstbestimmung, das sowohl die staatliche Regulierungsnotwendigkeit als auch unproduktiven Wettbewerb reduziert und geeignet ist, die mit der Einführung der Universitätsautonomie angestrebten Ziele zu erreichen.

Problemstellung A.3 – Männerdominanz und mangelnde Diversität

Die Zusammensetzung der Belegschaft, insbesondere in leitenden Positionen, ist nicht divers, sondern vorwiegend männerdominiert, der Frauenanteil bei Universitätsprofessor*innen liegt aktuell bei 27% (Stand 2022).

  • Forderung – Erhöhung der Diversität und Einführung einer Frauen*quote

    Die Diversität in Belegschaft, Gremien und Führungspositionen soll erhöht werden – dies betrifft v.a. das Geschlecht, das Alter, die soziale Herkunft und die natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit. Um diese immer noch bestehende strukturelle Schieflage umfassend zu beseitigen, soll eine Frauen*quote eingeführt werden, bis die annähernde Gendergerechtigkeit innerhalb des Personals auf allen Karrierestufen hergestellt ist. Darüber hinaus sollen Universitäten Aspekte der sozialen Herkunft, des Alters und anderer sozialer Faktoren der Inklusion in ihr internes und öffentliches Berichtswesen integrieren.

  • Vision

    Eine Frauen*quote bleibt solange bestehen, bis eine geschlechtergerechte Belegschaft erreicht ist. Es entsteht eine barrierefreie Universität, die Karrierechancen für Menschen mit Behinderungen und mit diversen sozialen und kulturellen Hintergründen ermöglicht und mittels spezieller Karrieremodelle fördert. Eine in dieser Weise diverse Universität verbessert die Repräsentation der österreichischen Bevölkerungsstruktur und ist dementsprechend besser geeignet, gesellschaftlich verantwortliche Wissenschaft zu betreiben (siehe Themenfeld B).

Themenfeld B: Partizipation und Öffentlichkeit

Problemstellung B.1 – Definition und Umsetzung des öffentlichen Auftrags durch wenige Einzelpersonen

Auf der Grundlage der ministeriellen Vorgaben wird die strategische Ausrichtung der Universität und die Interpretation ihres öffentlichen Auftrags ausschließlich vom Rektorat in Abstimmung mit dem Universitätsrat beschlossen. Der Senat als grundsätzlich partizipatives Universitätsgremium wurde mit dem UG 2002 in vielen Bereichen entmachtet. Universitätsinterne Transparenzpflichten und Möglichkeiten der Einsichtnahme in universitätspolitische Entscheidungsprozesse und -begründungen sind in den entscheidenden Belangen stark eingeschränkt. Offene partizipative Beteiligungsprozesse existieren nur in marginalen Bereichen und marginalem Ausmaß.

  • Forderung – Stärkung universitätsinterner Mitspracherechte

    Die Mitspracherechte aller UniA bei der strategischen Ausrichtung der Universität (Entwicklungspläne, Leistungsvereinbarungen, inneruniversitäre Ressourcenverteilung, personalpolitische Leitprinzipien etc.) sowie in personalbezogenen Entscheidungsgremien (Besetzungs- und Berufungskommissionen, Rektor*innenwahl etc.) sollen gestärkt werden. Die bisherigen Mehrheitsverhältnisse in Gremien mit absoluter Stimmenmehrheit der Professor*innen sollen durch Orientierung am ehemaligen Modell der Drittelparität demokratisch umgestaltet werden. Transparenz- und Rechenschaftspflichten leitender Organe, Einrichtungen und Personen sowie die Einsichts- und Auskunftsrechte aller UniA und Studierenden sind entsprechend auszuweiten.

  • Vision

    Die demokratische Neugestaltung bestehender Gremien verbessert die Teilhabemöglichkeiten aller Universitätsangehörigen an strategie- und personalbezogenen Entscheidungsprozessen. Die Erneuerung des Prinzips der Drittelparität im Rahmen des Faculty-Modells stärkt zudem die Mitspracherechte der Studierenden. Die erweiterten Mitbestimmungsmöglichkeiten für Belegschaft und Studierende verbreitern die Wissens- und Erfahrungsbasis für die Ausformulierung und Umsetzung des öffentlichen Auftrags. Verbunden mit den erhöhten Transparenzpflichten und Einsichtsrechten werden durch die neuen partizipativen Prozesse bisher ungenutzte Potenziale der universitätsinternen Kontrolle realisiert. Eine umfassende UG-Evaluierung ermöglicht die Identifikation weiterer Verbesserungspotentiale. Hierdurch wird die Eigensteuerung der Universität als Forschungsstätte sowie als Schlüsselinstitution des Bildungssystems optimiert und die Autonomie, Effizienz und Resilienz des universitären Systems gestärkt.

Problemstellung B.2 – Geringe öffentliche Wahrnehmung durch Intransparenz

Die aktuelle Intransparenz und Exklusivität universitätsbezogener Entscheidungen ist ursächlich mit dem Problem verwoben, dass in Österreich zurzeit kein öffentlicher Diskurs über die gesamtgesellschaftlich gewünschten Aufgaben der öffentlichen Universitäten stattfindet. Abgesehen von gelegentlicher Aufmerksamkeit für entkontextualisierte Einzelaspekte findet nahezu keine öffentliche Diskussion über universitätspolitische Entscheidungen und die Gestaltung der österreichischen Hochschullandschaft statt. Ein öffentlicher Austausch über die Interferenzen zwischen Universitätspolitik und favorisierten Forschungs-, Bildungs- und Innovationsstrategien fehlt gänzlich. Es mangelt aber auch an dem für diesen Austausch erforderlichen universitäts-, bildungs- und gesellschaftspolitischen Wissen. Beide Faktoren ermöglichen es, dass der gesellschaftliche Auftrag der österreichischen Universitäten – dem Grundprinzip moderner, demokratischer Politik und Öffentlichkeit zuwiderlaufend – zurzeit ohne Beteiligung der österreichischen Gesellschaft (Zivilgesellschaft, Parlament, Medien usw.) definiert wird. Dies beeinträchtigt die Glaubwürdigkeit der öffentlichen Universitäten und verursacht eine steigende Wissenschaftsskepsis, die mit einem sinkenden Vertrauen in das aktuelle politische System verbunden ist.

  • Forderung – Partizipatorische Öffentlichkeit durch Dialogforum, Diskursplattform und
    Bürger*innen-Rat
    • Der öffentliche Diskurs soll im Rahmen eines frei zugänglichen Dialogforums organisiert und dauerhaft gefördert werden. Um die Mitgestaltung durch die Zivilgesellschaft und eine Steigerung der Transparenz und Sichtbarkeit universitärer Aufgaben und Leistungen zu ermöglichen, sollen zudem eine durch das Ministerium finanzierte Diskussionsplattform und ein „Bürger*innen-Rat“ (Privatpersonen, Expert*innen, zivilgesellschaftliche Organisationen usw.) geschaffen und erhalten werden. Dieser verfügt über universitätsbezogene Einsichts- und Auskunftsrechte und ergänzt als gesellschafts- und öffentlichkeitsbasiertes Pendant den Universitätsrat in dessen Funktion als Bindeglied zwischen Universität und Politik.
    • Dialogforum, Diskussionsplattform und „Bürger*innen-Rat“ dienen dem Ziel, das gesamtgesellschaftliche Bewusstsein für die Relevanz und die Reichweite universitätspolitischer Entscheidungen und Weichenstellungen sowie das hierfür erforderliche Wissen zu steigern. Zugleich soll der öffentliche Diskurs über die diesbezüglichen Handlungsmöglichkeiten und die gesellschaftliche Verantwortung der Universitäten gestärkt werden. Alle drei „Institutionen“ (Forum, Plattform, Rat) eröffnen Möglichkeiten der Artikulation, des Austauschs und der Mitbestimmung.
    • Eine faktenbasierte öffentliche Diskussion ist abhängig vom Vorhandensein und der Zugänglichkeit einschlägigen Wissens. Eine Voraussetzung hierfür wird durch die Ausweitung universitätsbezogener Transparenz- und Rechenschaftspflichten geschaffen. Eine angemessene wissenschaftliche Analyse der Umsetzung der mit dem UG 2002 verbundenen Ziele, Begleitnormen und Governance-Verfahren (Qualitätssicherung, Wissenschafts- und Innovationsindikatorik, Rankings etc.) ist allerdings nach wie vor ausständig. Hierzu soll eine unabhängige Kommission aus Wissenschaftssoziolog*innen, -historiker*innen, Hochschuljurist*innen und Bildungswissenschafter*innen gegründet und mit der Erforschung dieses Desiderats beauftragt werden. Nach Exzellenz strebende Universitäten benötigen eine exzellente Wissenschaftsforschung. Eine Finanzierung aus Mitteln der Exzellenzinitiative liegt deshalb nahe.
  • Vision

    Die Einführung eines Dialogforums, einer Diskussionsplattform und eines „Bürger*innen-Rats“ ermöglicht der zivilgesellschaftlichen Öffentlichkeit die Mitgestaltung der öffentlichen Universitäten und erleichtert den Interessensausgleich mit dem politischen System (Parlament, Parteien, Ausschüsse, Interessensvertretungen usw.). Der gesellschaftliche Auftrag der Universitäten kann öffentlich verhandelt, mitbestimmt und in seiner Umsetzung kontrolliert werden. Der institutionalisierte „Bürger*innen-Rat“ fungiert als partizipatives Format, das die Beteiligung an der Weiterentwicklung der Zielsetzungen für den Forschungs- und Wissenschaftsstandort Österreich ermöglicht. Dialogforum und Diskussionsplattform dienen der öffentlichen Reflexion des Bestehenden (universitäre Exklusionsmechanismen, Arbeitsbedingungen, Internationalisierung & Prekarisierung etc.) und dem Austausch über hochschulpolitische Zukunftskonzepte und als relevant erachtete, zu setzende Schwerpunkte in Forschung und Lehre. Die Ergebnisse der wissenschaftlichen Aufarbeitung und Evaluierung der Leistungen, Schwächen und Potenziale des UG 2002 und seiner Umsetzungen werden laufend öffentlich kommuniziert und ermöglichen einen evidenzbasierten öffentlichen Meinungsbildungsprozess. Forschung und universitäre Lehre werden durch diese Maßnahmen in die Mitte der Gesellschaft geholt. Die Wissenschafts- und Systemskepsis sinken, da die Gesellschaft an der Definition des öffentlichen Auftrags der Universitäten partizipieren und dessen Umsetzung verfolgen kann.

Themenfeld C: Personalpolitik

Problemstellung C.1 – Entfristungen finden nach Ende der Kette kaum statt

Die „Ausnahme zum Kettenvertragsverbot“ nach §109 UG 2002 führt nur in Ausnahmefällen zur Entfristung bzw. zu permanenten Anstellungsverhältnissen. In der aktuellen Praxis führt die Kettenvertragsregel vielmehr dazu, dass 80% der wissenschaftlich-künstlerischen Belegschaft alle 2, 4, 6 oder 8 Jahre ausgetauscht werden. (Daten zur konkreten Berechnung der durchschnittlichen Verweildauer wären vorhanden, sind aber nicht öffentlich zugänglich.) Trotz eindeutiger, anderslautender Faktenlage kursieren weiterhin die Thesen, dass nur auf diese Weise „Generationengerechtigkeit“ hergestellt werden könne und das entfristete Personal unkündbar sei. Ignoriert wird damit, dass die 8-Jahres-Regel zu einem bereits laufenden, massiven „Brain Drain“ führt und Österreichs Universitäten schon jetzt kontinuierlich an Attraktivität verlieren. Beide Entwicklungen haben hohe Qualitätsverluste in Forschung und Lehre zur Folge, deren Erhebung und Offenlegung überfällig ist.

  • Forderung – Ersatzlose Streichung von §109 zur Annäherung an das allg. Arbeitsrecht

    Das UG soll sich dem allgemeinen Arbeitsrecht annähern. Das heißt, dass §109 ersatzlos gestrichen wird und Kündigungen gemäß Arbeitsverfassungsgesetz (ArbVG 1973) erfolgen. Während der Übergangsfrist sollen österreichweit gültige Entfristungsmodelle (abseits der Full- und Tenure-Track-Professur) mit transparent nachvollziehbaren Kriterien (z.B. wissenschaftliche Veröffentlichungen, universitäre Lehre etc.) ausgearbeitet werden. Zudem sollen in dieser Übergangsphase die bestehenden kollektivvertraglichen Möglichkeiten für die unbefristete Anstellung von Senior Lecturers und Senior Scientists umfassender als bisher ausgeschöpft werden. Um dem laufenden Qualitätsverlust in Lehre und Forschung gezielt und rasch entgegentreten zu können, sollen die Folgen der §109-Novellierung ehestmöglich von unabhängiger Seite erhoben und evaluiert werden.

  • Vision

    Die Anstellungsarten an Universitäten enthalten nur noch wenige Ausnahmebestimmungen (z.B. bei Doktoratsprogrammen) und folgen den Regelwerken des allgemeinen Arbeitsrechts gemäß Arbeitsverfassungsgesetz (ArbVG). Die Mehrheit der UniA ist somit unbefristet angestellt, um die Daueraufgaben in Lehre und Forschung im Sinne der UG-Ziele zu erfüllen. Indem UniA eine längerfristige Perspektive erhalten, steigt die Motivation, sich in Lehre, Forschung, Wissenstransfer und Selbstverwaltung zu engagieren. Die Möglichkeit zur Akkumulation von Wissen und Erfahrung und zur Entwicklung einer nachhaltigen, institutionellen Komplexitätskompetenz durch stabile, fachübergreifende Kommunikationsstrukturen und eine entsprechend steigende interdisziplinäre Expertise tragen zu einer weiteren Qualitätssteigerung und erhöhten Zukunftsrelevanz universitärer Leistungen bei. Durch unbefristete Verträge werden außerdem kontraproduktive Fluktuationskosten, die psychische Arbeitsbelastung und die negativen Auswirkungen des Konkurrenzdrucks reduziert – eine neue „Beschäftigungskultur“ entsteht. Verstetigte Arbeitsverhältnisse sichern wertvolles Knowhow und ermöglichen Synergieeffekte durch institutionelle Kontinuität sowie eine positive Bilanz im Spannungsfeld von „Brain Drain“ und „Brain Gain“.

Problemstellung C.2 – Entwicklungsmöglichkeiten abseits der Professur kaum möglich

Abseits der Professur – einschließlich der Tenure-Track-Professur – gibt es fast keine Karrieremöglichkeiten. Bei der Entwicklung neuer Karrieremodelle werden die Erfahrungen Betroffener ebenso unzureichend berücksichtigt wie die Ergebnisse anerkannter Studien und einschlägige OECD- und EU-Handlungsempfehlungen (Policy Papers, Agreements usw.). Infolgedessen gibt es an Österreichs öffentlichen Universitäten im Gegensatz zur Mehrzahl der Hochschulen anderer Staaten derzeit keine nachhaltige Beschäftigungspolitik, die sowohl vertikale als auch horizontale und zentripetale Entwicklungsmöglichkeiten – Karrierewege jenseits der Professur – zulässt und der Vielfalt der zu erfüllenden universitären Aufgaben entspricht. Auffallend ist insbesondere der Unterschied zu Universitäten, deren Finanzierung von ihrem Erfolg auf dem freien Markt abhängt und die dazu tendieren, attraktive und diverse Beschäftigungsverhältnisse anzubieten, um wettbewerbsfähig zu bleiben.

  • Forderung – Personalentwicklungspläne für alle UniA

    Der Begriff der „Universitätskarriere“ darf nicht mit der Erreichung einer Professur gleichgesetzt werden. Unter Berücksichtigung der gesamten Belegschaftsstruktur sollen innovative Personalentwicklungsmodelle auch abseits der Professur entwickelt und transparent kommuniziert werden. Die Mitspracherechte der gesamten Belegschaft bei der Gestaltung zukünftiger Personalentwicklungspläne (PEP) und adäquater Übergangsregelungen für die aktuelle Belegschaft („Übergangsgeneration“) sollen gestärkt werden, um bestmögliche und zeitgemäße Lösungen zu entwickeln und zu implementieren. Innovative, zukunftsfähige PEP berücksichtigen vor allem die unterschiedlichen Qualifikationsprofile für Lehre, Forschung und Verwaltung, um die komplex ineinandergreifenden Aufgaben auf höchstmöglichem Niveau zu erfüllen.

  • Vision

    Eine nachhaltige Beschäftigungspolitik und transparente Personalentwicklungspläne (PEP) mit Übergangsregelungen ermöglichen den Mitarbeiter*innen Planungssicherheit für ihre Karrieren an österreichischen Universitäten und ihr Privatleben. Sie sind zudem unverzichtbar, um der gesellschaftlichen Verantwortung der Universitäten, die bereitgestellten öffentlichen Mittel „bestmöglich“ – d.h. durch Halten oder Anwerben der „besten Köpfe“ – zu verwenden, gerecht zu werden. Unbefristete Verträge mit langfristigen Perspektiven ziehen hochmotivierte Personen aus allen sozialen Schichten und dem Ausland an. Arbeit und Karriere in der Wissenschaft werden wieder attraktiv, da sie transparent und planbar sind und innerhalb der Vielfalt universitärer Aufgaben unterschiedliche Karrierewege und -profile ermöglicht werden. Der Forschungsstandort Österreich gewinnt international an Wettbewerbsfähigkeit und Renommee.

Themenfeld D: Finanzierung

Problemstellung D.1 – Unausgewogene Finanzierung zwischen angewandter Forschung und Grundlagenforschung

Die Leistungsvereinbarungen der Universitäten müssen in zu kurzen Abständen (alle 3 Jahre) neu verhandelt werden. Eine langfristige strategische Planung wird dadurch erschwert. Die Evaluierungsperioden sind zu kurz und erhöhen den Verwaltungsaufwand in Universitäten und Ministerien. Verstärkt wird diese Ineffizienz dadurch, dass die Forschungsfinanzierung zurzeit durch eine überhöhte Quote für die angewandte Forschung – auf Kosten der Grundlagenforschung – gekennzeichnet ist. Diese unausgewogene Verteilung stellt nicht nur eine unverhältnismäßige Beschränkung der Freiheit von Lehre und Forschung dar. Sie reduziert auch die Autonomie der Universitäten und deren Möglichkeiten, die Zweckmäßigkeit und Effizienz des Einsatzes öffentlicher Mittel sicherzustellen.

  • Forderung – 10-jährige Sicherstellung der Finanzierung und Neuverteilung der Ressourcen
    • Die Grundfinanzierung der Universitäten muss mindestens über 10 Jahre gesichert sein, automatisch an die Inflation angepasst und in allen Dimensionen (Budgetverteilung, Anreizsysteme usw.) transparent gemacht werden. Das Globalbudget ist im Vergleich zum Drittmittelbudget deutlich zu erhöhen.
    • Die Autonomie der öffentlichen Forschungsförderungsinstitutionen gegenüber den Universitäten muss sichergestellt werden. Forschungsgelder staatlichen Ursprungs sollen nach Qualitätskriterien und internationalen Evaluierungsstandards vergeben werden. Eine wettbewerbsfeindliche inhaltliche oder personelle Vorselektion durch die Universitätsleitungen ist zu unterbinden.
    • Nach 20 Jahren Universitätsautonomie gilt es insbesondere im Bereich der Universitäts-und Forschungsfinanzierung zu überprüfen, inwieweit die mit dem UG 2002 anvisierte Unabhängigkeit der Universitäten gegenüber der Einflussnahme durch politische Parteien und Interessensvertretungen (siehe u.a. „Task Force FTI“) Realität geworden ist.
  • Vision

    Die finanzielle Absicherung der öffentlichen Universitäten deckt einen Regelbetrieb in der Lehre ab und ermöglicht auch ausreichend Zeit für hochwertige und nachhaltige Grundlagenforschung. Die negativen Effekte und Kosten zunehmend kompetitiver Forschungsorganisation sowie einer überhöhten Drittmittelabhängigkeit für Institutionen, die andere Aufgaben zu erfüllen haben als reine (oder private) Forschungseinrichtungen, werden erhoben, evaluiert und gegebenenfalls durch eine Erhöhung der Globalbudgets abgefangen. Drittmittelfinanzierungen bleiben weiterhin bestehen, allerdings nur, um ausgewählte Forschungsschwerpunkte zu lenken, und nicht, um den grundsätzlichen Forschungsbetrieb der Universitäten aufrechtzuerhalten. Die Forschungsschwerpunkte werden unter Beteiligung der Öffentlichkeit – etwa durch Nutzung der neuen Diskursplattform (Themenbereich B) –festgelegt. Gemeinsam mit der Disziplinenhierarchie der gesamtösterreichischen Hochschulentwicklungspläne (GUEP, FTI-Strategie usw.) und der Fächergewichtung der Universitätsfinanzierungsverordnung (UniFinV) werden die Forschungsschwerpunkte transparent begründet und ermöglichen damit eine angemessene Kontrolle durch Rechnungshof und Öffentlichkeit.

Problemstellung D.2 – Zunehmende Entkopplung und Hierarchisierung von Forschung und
Lehre und ihrer Finanzierung

Die politische Entscheidung für eine gesteigerte „Profilbildung“ in der österreichischen Universitäts- und Forschungslandschaft ist mit einer wachsenden Differenzierung zwischen primären Forschungs- und primären Lehreinrichtungen verknüpft. Diese institutionelle „Spezialisierung“ geht nicht nur mit einem strategischen Abbau der Fächer-, Theorien- und Methodenvielfalt einher, sondern auch mit einer steigenden Entkopplung und Hierarchisierung von Forschungs- und Lehrtätigkeiten. „Reine“ Forschung (ohne Lehre) wird finanziell und institutionell aufgewertet, während die „reine“ Lehrtätigkeit durch schlechtere Arbeitsverträge, Infrastruktur usw. abgewertet wird. Die qualitätssichernde Funktion der durch aktives Forschen geleiteten Lehre wird durch diese Entwicklung unterminiert. Die Universitäten vernachlässigen damit die ihnen überantwortete, gesellschafts- und demokratiepolitisch unerlässliche Aufgabe der „Bildung durch Wissenschaft“ und die „Entwicklung der Künste und ihrer Erschließung“.

  • Forderung – Stärkung der Verschränkung und Gleichrangigkeit von Forschung und Lehre
    • Es darf keine finanzielle, institutionelle und personalpolitische Aufwertung der Forschung auf Kosten der universitären Lehre stattfinden. Das Weiterbestehen hochqualitativer forschungsgeleiteter Lehre muss als Kernelement und besondere Aufgabe öffentlicher Universitäten sichergestellt werden. Die Verschränkung und die Gleichrangigkeit von Forschung und Lehre dürfen keiner inner- und interuniversitären Ausdifferenzierung und Profilbildung geopfert werden. Strategien und Mechanismen der Hochschul-Governance und der universitätsinternen Steuerung dürfen keine Anreize für die Entkopplung und Hierarchisierung von Forschung und Lehre (Abwertung, Verbilligung und Auslagerung der Lehre) enthalten, sondern müssen beiden Trends entgegenwirken.
    • Langjährig tätigen Lektor*innen sind unbefristete Verträge als „UniA“ anzubieten, in denen Forschungsaufgaben und Gremienarbeiten angemessen berücksichtigt werden.
    • Die Zweckmäßigkeit des Rückgriffs auf Senior Lecturer- statt Senior Scientist-Stellen ist in demokratischen Prozessen zu prüfen und auf bestimmte, konsensual und klar definierte Bereiche zu beschränken.
  • Vision

    Das UG-Ziel der „Bildung durch Wissenschaft und durch die Entwicklung der Künste und ihrer Erschließung“ (§3 UG 2002) wird im Sinne des Humboldt‘schen Bildungsideals in seiner gesamtgesellschaftlichen Relevanz ernstgenommen. Dieses Ideal wird aber nicht nur durch die Verschränkung von Forschung und Lehre fortgeführt. Aufgegriffen wird auch die Überzeugung, dass ein offener und kontinuierlicher Austausch zwischen Universität und Gesellschaft unverzichtbar ist, um beiden Seiten auf der Grundlage demokratischer Selbststeuerung zur Steigerung ihrer jeweiligen „Autonomie“ und zur bestmöglichen Entfaltung ihrer Potenziale zu verhelfen. Das veränderte Zusammenspiel zwischen universitärer Lehre, Forschung und einer Öffentlichkeit, die auf der Basis einer verstärkten Universitätsautonomie an der Definition des gesellschaftlichen Auftrags der Universitäten mitwirkt, führt nicht nur zu einer verstärkten Berücksichtigung gesamtgesellschaftlich relevanter Fragen (z.B. Klimakrise, Agenda 2030 etc.). Es trägt darüber hinaus zu einem neuen universitären Selbstverständnis bei. Dieses neue „österreichische Bildungsideal“ beinhaltet die Chance, als österreichisches „Markenzeichen“ der Profilierung im internationalen Wettbewerb zu dienen.

Die Vorschläge für eine Reform des Universitätsgesetzes wurde verfasst von Vertreterinnen von NUWiss (Vorstand, vertreten durch Obmann Florian Part), IG Lektor:innen (Vorstand, vertreten durch Präsident Christian Cargnelli), Elise Richter Netzwerk (Vorstand, vertreten durch Barbara Fischer, Doris Lucyshyn und Stefanie Widder) und ÖGGF (Vorstand, vertreten durch Christa Brüstle und Monika Voithofer), und mitverfasst von Christian Cenker & Sabine Hammer (Vertreterinnen vom ULV-Dachverband) sowie Angelika Schmidt & Angela Wegscheider (Vertreter*innen der Universitätsgewerkschaft, GÖD BV13)